Medizinische Leitlinien für Ärzte und Patienten

Leitlinien spielen im ärztlichen Behandlungsalltag eine wichtige Rolle. Worum es sich dabei handelt und inwiefern Patienten von ihnen profitieren können, erfahren Sie hier. Lesen Sie den Text oder schauen Sie sich das Video mit Dr. Johannes an.

Download (MP4-Format, 87 MB)
In diesem Video erläutert der Hamburger Mediziner Dr. Johannes Wimmer die Bedeutung von medizinischen Leitlinien – und was Ärzte und Patienten von ihnen haben.

Im August 2020 hat das Leitlinienprogramm Onkologie die erste S3-Leilinie zum Peniskarzinom veröffentlicht. Ende 2017 wurde eine Aktualisierung der S3-Leitlinie zum Mammakarzinom (Brustkrebs) vorgelegt. In einer Mitteilung betonen die Verantwortlichen, dass Leitlinien „ein wesentliches Instrument zur Förderung von Qualität und Transparenz medizinischer Versorgung“ darstellen. Ein näherer Blick auf dieses Instrument lohnt sich also.

Leitlinien sind systematisch entwickelte Orientierungs- und Entscheidungshilfen für Ärzte. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren. Leitlinien empfehlen unter anderem auch bestimmte Medikamente als sinnvolle Behandlungsalternative oder gar als alternativlose Behandlung für einzelne Patientengruppen zu verordnen. Damit sorgen sie für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Erstellt werden sie von einer Expertengruppe im Auftrag einer oder mehrerer medizinischer Fachgesellschaften. In vielen Fällen werden auch Selbsthilfegruppen in den Arbeitsprozess integriert. Die S3-Leitlinie zum Mammakarzinom ist etwa unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) entstanden.

Entscheidungshilfe, aber keine Zwangsvorgabe

Leitlinien sind für Ärzte keine Zwangsvorgabe: Sie sind rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung, betont die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Für Betroffene ist wichtig zu wissen, dass sich Leitlinien-Empfehlungen eher auf den „durchschnittlichen Patienten“ beziehen als auf ein spezielles Individuum. Aus diesem Grund könnten Leitlinien das fundierte klinische Urteil auch nicht ersetzen, erklärt die AWMF auf ihrer Webseite. Dort steht auch: „Eine Leitlinie muss in dem Sinne flexibel sein, dass sie Ausnahmen benennt und Hinweise darauf gibt, wie die Wünsche des Patienten (Patientenpräferenz) berücksichtigt werden können.“

Patientenleitlinien: Wissen für Betroffene

Allein auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft sind über 700 Leitlinien publiziert, das Spektrum reicht von „Adipositas – Prävention und Therapie“ bis hin zu „Zahnsanierung vor Herzklappenersatz“ (Stand Dezember 2017).
Neben Leitlinien für Ärzte gibt es auch Patientenleitlinien. „Sie übersetzen die Behandlungsempfehlungen ärztlicher Leitlinien in eine für Laien verständliche Sprache“, erklärt das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). Patientenleitlinien geben wichtige Hintergrundinformationen zu den Ursachen der Erkrankung, der Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie Hinweise zum Umgang mit der Erkrankung. Es werden alle Fachbegriffe erklärt und Links bzw. Adressen zu weiterführenden Hilfsangeboten genannt. Einen Überblick über verschiedene Patientenleitlinien vermittelt die Seite www.patienten-informationen.de. Dabei handelt es sich um einen Service von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung.

Ausblick: Wie bleiben Leitlinien auf dem neusten Stand?

Ein wichtiges Thema bei Leitlinien ist deren regelmäßige Aktualisierung. Der ehemalige Präsident der AWMF, Prof. Karl Heinz Rahn, hat vor einiger Zeit die Vorgabe von fünf Jahren genannt, allerdings sei das in manchen Fällen zu lang. Prof. Achim Wöckel, Koordinator der S3-Leitlinie zum Mammakarzinom, betont: „Wir wissen inzwischen aus verschiedenen Versorgungsforschungsprojekten, dass ein leitlinienkonformes Vorgehen das Endergebnis der Brustkrebsbehandlung verbessert.“ Umso wichtiger sei eine regelmäßige Anpassung der Leitlinie an die neue Evidenz. Allerdings gibt es die Aktualisierung nicht zum Nulltarif. Rahn zufolge kostet eine neue Leitlinie 150.000 bis 200.000 Euro. Die medizinischen Fachgesellschaften finanzieren das aus ihren Mitgliedsbeiträgen. Über andere Finanzierungsmodelle wird gelegentlich diskutiert, aber noch dürfte das Zukunftsmusik sein.

Apropos Zukunft: Spannend wird auch, wie im Zeitalter der Digitalisierung neue Informationsformate genutzt werden können, damit Leitlinienwissen Patienten und Behandelnde besser erreicht.

Weitere Informationen:

  • Grundlegende Informationen zum Thema gibt es auf der Webseite der AWMF: www.awmf.org
  • Auch auf der Homepage des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZG) wird man fündig: www.aezq.de
  • Das Guidelines International Network ist nach eigener Auskunft der größte weltweit tätige Zusammenschluss von Organisationen und Gesundheitswissenschaftlern, die sich für die Entwicklung und Nutzung von Leitlinien zugunsten evidenzbasierter Gesundheits- und Patientenversorgung einsetzen (http://www.g-i-n.net).

Wer mehr wissen möchte: