Corona gefährdet die Adhärenz
Durch die Corona-Pandemie bleibt die Therapietreue (Adhärenz) bei vielen chronisch Kranken auf der Strecke. Patienten und Ärzte sind hier gefragt. In diesem Gastbeitrag berichtet die Journalistin und Expertin für Social Media & Digital Health, Birgit Bauer darüber, welche Ansätze verfolgt werden, um dem Problem zu begegnen. Die Autorin lebt mit Multipler Sklerose (MS).
Wer mit einer chronischen Erkrankung lebt, den begleiten in aller Regel therapeutische Maßnahmen wie die Einnahme von Arzneimitteln oder Physiotherapie. Nicht jeder Patient ist allerdings adhärent, verfolgt seine Therapie. Für Diabetiker oder Menschen mit Bluthochdruck beispielsweise kann eine vernachlässigte Therapie schwere Schäden verursachen. Die Ursachen für diese Nachlässigkeit sind vielfältig. Einige Gründe: Patienten fühlen sich besser und setzten deshalb die Medikamente ab. Oder Patienten fühlen sich nicht gut beraten. Ihnen fehlt Wissen über ihre Erkrankung und die damit verbundene Therapie. Der Zugang zu neutralen und verständlichen Informationen ist oft schwierig.
Wie Corona die Adhärenz beeinträchtigt
In den vergangenen Monaten hat vor allem die Corona-Pandemie das Thema Adhärenz neu adressiert. Gesprächs- und Untersuchungstermine wurden aufgrund der Pandemie verschoben oder gestrichen. Der Kontakt zwischen Arzt und Patient kam oft nicht zustande und Fragen blieben unbeantwortet. Gemäß einer US-Studie (Link am Ende des Beitrags) stieg zwar die Adhärenz bei COPD- und Asthma-Patienten während der Pandemie. Patienten mit Autoimmun- oder Krebserkrankungen sowie Transplantierte stellten sich häufig die Frage, ob eine Therapie weiter durchgeführt werden soll. Denn sie leben häufig mit Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken. Viele Patienten waren und sind unsicher, ob ihr Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, dadurch erhöht wird.
Kurzerhand entschieden viele Patienten im Alleingang, ihre Medikamente abzusetzen und nahmen aus Angst vor Covid-19 stattdessen das hohe Risiko von zum Beispiel einem Rebound Effekt, also einer deutlichen Verschlechterung von Krankheitssymptomen, in Kauf. Die Fortsetzung ihrer Therapie, die mit einem Besuch im Krankenhaus oder einer Arztpraxis verbunden gewesen wäre, ist somit der Ansteckungsangst zum Opfer gefallen. Die soziale Isolation brachte zusätzlich psychische Probleme wie Depressionen mit sich. Die Folge: Zahlreiche Patienten waren nicht mehr ansprechbar und auch für Freunde oder Familienangehörigen nicht mehr erreichbar.
Unterstützung für und von Patienten
In den letzten Wochen unterstützten sich Patienten oft gegenseitig. Viele diskutierten in Social Media über Möglichkeiten. Adhärenz in Corona-Zeiten ist ein großes Thema und bis jetzt scheint es keine wirkliche Lösung zu geben. Ärzte wie Krankenhäuser versuchen, größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Hausbesuche werden angeboten oder Termine, die genau getaktet gewährleisteten, dass es zu keiner Begegnung mit einem anderen Patienten oder Besucher in einer Praxis kommt. Doch nicht alle Patienten hat das überzeugt.
Dialog und Kommunikation statt Zwang oder Druck
Gefragt nach einer Lösung antwortet der Neurologe Dr. Michael Lang aus Ulm pragmatisch: „Patienten, die nicht auf eine Ansprache von Ärzten reagieren, sprechen auch nicht auf Ratschläge anderer im Gesundheitssystem engagierter Personen an. Man kann einen Patienten zu nichts zwingen, kann ihn aber in die Therapie und die Verantwortung einbinden und dadurch Adhärenz steigern.“ Der Neurologe weiß aus Erfahrung, dass die Adhärenz bei vielen Erkrankungen nach etwa zwölf Monaten sinkt. Er schwört daher schon lange auf Kommunikation. „Ich setze in meiner Praxis auf niedrigschwelligen Kontakt, das heißt, der Arzt muss nicht immer mit dem Patienten sprechen. Oft kann eine Nurse Patienten bei Fragen unterstützen oder nachfragen, ob alles klappt.“ Der regelmäßige Kontakt hilft allen Beteiligten engagiert zu bleiben und gibt Sicherheit, wenn es um gute Versorgung geht.
Wissen ist wichtig!
Ein anderer wichtiger Aspekt für Therapietreue ist Wissen. Je informierter Patienten über ihre Erkrankung sind, desto besser verstehen sie die Krankheit und entwickeln die Fähigkeit, sich bewusst und gut für oder gegen etwas zu entscheiden. Wer gut entscheidet, ist motiviert, etwas regelmäßig zu tun, zum Beispiel einer Therapie zu folgen. Dabei ist es egal, ob es sich um ein Medikament oder eine Übung vom Physiotherapeuten handelt. Dies konnte man in Social Media-Kanälen beobachten. Viele Patienten versuchten, mit Wissen andere zu unterstützen und zu motivieren, wenigstens per Video mit dem Arzt zu sprechen, um herauszufinden, was möglich ist. „Ich habe schon damit angefangen, eine Patientenakademie zu führen, bevor wir die Möglichkeit von Social Media und Co. hatten,“ sagt Lang. „Wir haben uns am Abend Zeit genommen und Vorträge für unsere Patienten gehalten. Heute passiert das digital und jeder kann sich bei uns informieren, wenn seine Zeit es erlaubt.“
Digitalisierung für Adhärenz?
Der erfahrene Neurologe weiß, wovon er spricht. Seit Jahren digitalisiert er seine Praxis und damit auch seine Patienten. Eine eigene Praxisapp hilft dabei, Prozesse effizient zu gestalten und auch in Kontakt mit den Patienten zu bleiben. „Wir sind im kontinuierlichen Austausch mit unseren Patienten. Wenn etwas vergessen wird, erinnern wir sie mit unserer App daran.“ So sind alle eingebunden und „Patienten sind motiviert und bleiben dran“, so die Erfahrung des Neurologen. Die Digitalisierung seiner Praxis hilft im Kontakt zu bleiben und Patienten auch während einer Pandemie so gut wie möglich zu versorgen und unterstützen.
In den vergangenen Jahren hat sich ein Faktor für Adhärenz immer deutlicher herauskristallisiert: Eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation. Es gilt also: im Gespräch bleiben und Patienten einbinden, ihnen zuhören. Kommunikation hilft, adhärent zu bleiben.
Weitere Informationen
• Studie Adhärenz bei Herz-Kreislauf- und Diabetes-Therapien während Covid-19-Sperre
• Studie Adhärenz bei COPD- und Asthma-Patienten während Corona-Pandemie
• Beitrag vom Deutschlandfunk Kultur über mangelnde Adhärenz