„Mit einer hohen Impfrate können wir Erkrankungen besiegen“

Was spricht für eine Impfung gegen Covid-19, wie läuft sie ab und welche Erkenntnisse können wir aus der Pandemie für das Thema Impfen mitnehmen? Wir haben darüber mit zwei Profis gesprochen: Prof. Dr. Claudia Schmidtke, Mitglied des Deutschen Bundestages sowie Patientenbeauftragte der Bundesregierung, und Dr. Ute Teichert, Leiterin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V.

Frau Prof. Dr. Schmidtke, Frau Dr. Teichert, was sind für Sie die wichtigsten Argumente für eine Impfung gegen Covid-19?

Prof. Dr. Claudia Schmidtke
Prof. Dr. Claudia Schmidtke: Eine Covid-19-Impfung bietet nicht nur einen individuellen Schutz vor einer schweren Corona-Erkrankung und möglichen Langzeitfolgen, sondern trägt gleichzeitig dazu bei, auch andere Personen zu schützen und die Pandemie insgesamt einzudämmen. Je mehr Menschen geimpft sind, desto schwerer hat es das Virus, sich zu verbreiten und desto schneller können wir den Zustand einer Herdenimmunität erreichen, in dem auch diejenigen Menschen geschützt sind, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Impfen ist und bleibt der einzig verlässliche Weg, um diese Pandemie Schritt für Schritt zu beenden.

Dr. Ute Teichert
Dr. Ute Teichert: Das sehe ich genauso. Impfungen sind die einzige Möglichkeit, die Pandemie zu bekämpfen. Sie sind wirksam und schützen.

Wie begegnet man den Bedenken von Menschen, die Angst vor Nebenwirkungen haben?

Schmidtke: Um das Vertrauen der Menschen in die Impfstoffe aufzubauen und zu erhalten, muss es gelingen, der Flut von Gerüchten, Meinungen sowie vereinfachenden, zum Teil missverständlichen medialen Berichten mit seriösen auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden Informationen zu begegnen. Dazu ist zum einen eine klare Kommunikation darüber erforderlich, dass die Sicherheit und die Wirksamkeit der Impfstoffe im europäischen Zulassungsverfahren wissenschaftlich streng geprüft wurden und die Verträglichkeit auch nach der Zulassung weiter kontinuierlich überwacht wird. Zum anderen ist eine umfassende Aufklärung notwendig, die auf die Bedenken der Menschen eingeht und verständlich über erwartbare Impfreaktionen und mögliche Nebenwirkungen informiert.

Teichert: Bedenken gibt es außerdem bei allen Impfungen, nicht nur bei der Covid-Impfung. Man kann versuchen, mit rationalen Argumenten aufzuklären. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man die meisten Unklarheiten und Ängste gut im persönlichen Gespräch ausräumen kann. Es gibt aber auch Menschen, die grundsätzlich gegen Impfungen sind. In solchen Fällen kommt man mit Argumenten kaum weiter. Das muss man dann akzeptieren. Gerade in Zeiten der Impfstoffknappheit gibt es aber genug Menschen, die geimpft werden wollen. Auf die sollten wir uns konzentrieren.

Bei der Vergabe der Impftermine kam und kommt es immer wieder zu Verwirrung und Schwierigkeiten: Wo muss nachgebessert werden?

Schmidtke: Die Vergabe der Impftermine durch die Länder ist insbesondere für die ältere Zielgruppe zu komplex und an der Lebensrealität vorbei organisiert worden. Hier wurden jedoch erfreulicherweise zahlreiche Verbesserungen umgesetzt. Um die Geschwindigkeit der Impfkampagne zügig zu erhöhen, sollten kurzfristig die Kapazitäten der Impfzentren aufgestockt werden, beispielsweise mithilfe durchgängiger Öffnungszeiten. Ich bin mir sicher, dass dieses Angebot angenommen wird, wenn die Anmeldeverfahren technisch stabil und organisatorisch so einfach wie möglich ausgestaltet sind. Für die Impfungen in den Praxen von Haus- und Fachärzten sowie über Betriebsärzte sollten alle Beteiligten zudem aus diesen Erfahrungen lernen und bundesweit mit möglichst einheitlichen Regelungen an einem Strang ziehen, um Planungssicherheit zu geben, wie und wann ein Impftermin zu erhalten ist.

Nehmen Sie uns gedanklich mit: Wie läuft eine Covid-Impfung ab?

Teichert: Jedes Bundesland organisiert seine Impfzentren selbst und hat eigene Strukturen aufgebaut. In der Regel holt sich die impfwillige Person einen bzw. zwei aneinander gekoppelte Termine, entweder online oder über eine Telefonhotline. Dann bekommt sie Unterlagen zur Impfaufklärung. Beim Impftermin selbst werden Personalien und Formulare geprüft, manchmal gibt es auch „Impflotsen“, die die Impfwilligen im Impfzentrum begleiten. Es gibt eine weitere Aufklärung und Beratung mit Blick auf eigene Erkrankungen oder Medikamente, die man nimmt. Dann kommt die Impfung. Danach bleibt die geimpfte Person noch 15 bis 30 Minuten unter Beobachtung.

Wie sind die Erfahrungen in den Impfzentren mit Blick auf die Abläufe?

Teichert: Das ist sehr unterschiedlich und hängt von bestimmten Rahmenbedingungen ab. Wie gut ist die Wegeführung im Impfzentrum? Wie ist die Parkplatzsituation drum herum? Wie gut erreicht man die Zentren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Taxi? Auch Barrierefreiheit spielt eine Rolle. Die ist leider nicht überall gegeben.

Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob die zu impfenden Personen die Möglichkeit haben sollen, ihren Impfstoff auszuwählen. Wie stehen Sie dazu, Frau Prof. Dr. Schmidtke?

Schmidtke: Solange nicht ausreichend Impfstoff vorhanden ist und die Impfreihenfolge priorisiert werden muss, sollte sich die Auswahl des Impfstoffes streng nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) richten. Wenn es zu einem späteren Zeitpunkt ausreichend Impfstoff gibt und die STIKO verschiedene Kandidaten als gleichwertig empfiehlt, können wir über Wahlmöglichkeit diskutieren, um dadurch möglicherweise auch die Impfbereitschaft weiter zu erhöhen.

Warum war das Impfen in Arztpraxen nicht von Anfang an möglich?

Schmidtke: Bis genügend Impfstoff produziert wurde und zur Verfügung steht, ist eine Priorisierung erforderlich, die sicherstellt, dass vulnerable Gruppen mit einem besonders hohen Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf von Covid-19 zuerst geimpft werden. Mit der zunehmenden Impfstoffkapazität ist selbstverständlich eine Verimpfung in den Arztpraxen sinnvoll und notwendig.

Welche Rolle spielt aktuell der öffentliche Gesundheitsdienst, Frau Dr. Teichert?

Teichert: Das hängt davon ab, wie sehr der öffentliche Gesundheitsdienst in der Pandemie bislang einbezogen worden ist. Und das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Gesundheitsämter verfügen beim Thema Impfen jedenfalls über jahrelange Kompetenz. Wenn wir an die Ausweitung der Impfungen denken, sollten neben Hausarztpraxen und Betriebsärzten auch Gesundheitsämter mit gut funktionierenden Impfsprechstunden einbezogen werden. Damit alle impfen, die impfen können.

Wenn wir auf Impfzentren oder aufsuchende Impfangebote blicken: Welche Strukturen sollten wir nach der Pandemie beibehalten und warum?

Schmidtke: Die Impfzentren sind meines Erachtens auf Dauer nicht erforderlich. Die Hausärztinnen und Hausärzte beweisen jedes Jahr, dass sie in der Lage sind, innerhalb weniger Wochen Millionen Patientinnen und Patienten z. B. mit einer Grippeschutzimpfung zu versorgen. Ich halte es jedoch für sinnvoll, grundsätzlich an dem Konzept der mobilen Impfteams festzuhalten. Diese Angebote haben sich insbesondere für ältere und immobile Menschen gut bewährt, die mit klassischen Impfangeboten sonst nur schwer zu erreichen sind. Zudem sind ähnliche Angebote, wie beispielsweise die sogenannte aufsuchende zahnmedizinische Versorgung in Schulen und Pflegheimen, der gesetzlichen Krankenversicherung nicht fremd.

Teichert: Ich hoffe, dass Impfen künftig einen anderen Stellenwert erhalten wird. Ich impfe schon seit 30 Jahren und habe erlebt, wie die Nachfrage nach dem Impfen nachgelassen hat. So haben vielfach auch Gesundheitsämter ihre Impfsprechstunden eingestellt. Impfangebote sollten aber niedrigschwellig sein. An Gesundheitsämter angedockte Impfzentren, die die Bürgerinnen und Bürger ohne Termin besuchen könnten, wären eine wichtige Ergänzung zu Arztpraxen. Dabei geht es um Gesundheitsschutz für die Bevölkerung. Denn machen wir uns nichts vor: Heute geht es um Covid-19, aber es gibt noch viele weitere Erkrankungen, die durch Impfungen verhindert werden können.

Schauen wir nochmal ganz generell auf das Thema Impfen. Zum Beispiel auf die Impfungen gegen Grippe, Masern oder Tetanus. Weshalb sind sie wichtig für die Gesellschaft?

Teichert: Claudia Schmidtke hat es eingangs schon gesagt: Wenn ich mich impfen lasse, schütze ich mich, meine Familie und mein Umfeld. Impfen verhindert einerseits, dass ich krank werde, es verhindert aber auch, dass ich eine Erkrankung weiterverbreite. Damit leisten Impfungen etwas, was Medikamente nicht leisten können. Wir sehen in der Pandemie wie wichtig dieses Nichtweiterverbreiten ist. Mit einer hohen Impfrate können wir Erkrankungen besiegen.

Frau Prof. Dr. Schmidtke, immer wieder haben Sie betont, dass es wichtig ist, dass sich das Gesundheitspersonal impfen lässt. Weshalb?

Schmidtke: Die Impfbereitschaft der Menschen in den Gesundheitsberufen spielt eine große Rolle, weil es hier in besonderem Maße neben dem Eigenschutz auch um den Schutz der ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten geht. Zudem nehmen insbesondere Ärztinnen und Ärzten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeberufen aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses eine wichtige Vorbildfunktion ein. Sie können nicht nur die Impfbereitschaft in der Bevölkerung positiv beeinflussen, sie tragen mit ihrem Verhalten ganz wesentlich dazu bei, die Pandemie und damit auch die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen schnellstmöglich einzudämmen.

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