Blickpunkt: Das EU-Pharma-Paket

Was ist das EU-Pharma-Paket und warum gibt es das Paket? Welche Themen werden darin behandelt? Und welche Auswirkungen kann das Gesetzespaket auf Patient:innen haben?
Diese und weitere Fragen werden in diesem Artikel behandelt.

Was ist das EU-Pharma-Paket und warum gibt es das Paket?

Die EU-Kommission hat am 26. April 2023 die sogenannte „Reform of the EU pharmaceutical legislation“ vorgelegt – auf Deutsch: Das EU-Pharma-Paket. Das Paket besteht aus zwei Legislativvorschlägen: Einer neuen Richtlinie und einer neuen Verordnung. Damit sollen frühere Arzneimittelvorschriften ersetzt und vereinfacht werden. Mit diesen beiden Vorhaben wird der EU-Rechtsrahmen für alle Arzneimittel gesetzt und gebündelt. Die EU hat sich damit viel vorgenommen. Die Arzneimittelversorgung soll europaweit verbessert und Arzneimittelknappheit wirksam bekämpft werden. Auch Lieferengpässe sollen mit dem Gesetz der Vergangenheit angehören. Ebenfalls im Fokus: Die Bekämpfung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen. Das übergeordnete Ziel ist es, die Versorgungslage von EU-Bürger:innen signifikant zu verbessern.

Neben den Versorgungsaspekten zielt die Kommission auf zwei weitere Themen: Umweltschutz und Bürokratieabbau. Gerade mit letzterem will die Europäische Union sich als Innovationsstandort für pharmazeutische Unternehmen platzieren und die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln ankurbeln.

Doch warum kommt das Paket gerade jetzt? Die letzte, groß angelegte Neuregulierung ist knapp 20 Jahre alt. Dazwischen gab es zwar immer wieder kleinere Gesetzesänderungen, doch jetzt steht eine grundlegende Überarbeitung an. Die Faktoren, warum das Paket jetzt kommt, sind zahlreich. Aber einer davon: Die Europäische Union steht im starken Wettbewerb mit China und den USA. Und um die EU als Pharmastandort zu halten und auszubauen, braucht es geeignete regulatorische Vorgaben. Diese Leitplanken soll das Pharma-Paket setzen. Auch ist der Zugang zu Arzneimitteln in Europa unterschiedlich gut. In westlichen Ländern, z.B. in Deutschland, hätten die Patient:innen Zugang bis nahezu 90 Prozent neuer Arzneimittel. In den kleineren und östlichen Ländern sind es nur knapp 10 Prozent, sagt EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Das soll mit der Reform der Vergangenheit angehören.

Zum Weiterlesen:
Das Pharma-Paket der EU (vfa.de)
EU Competitiveness: Mind the gap between rhetoric and reality (efpia.eu)

Welche Themen umfasst das EU-Pharma-Paket?

Die Bandbreite der Themen ist vielfältig: Vom Schutz geistigen Eigentums der Unternehmen, über neue und schnellere Zulassungsprozesse bei Medikamenten bis hin zu strengeren Umweltanforderungen und weniger Bürokratie.

Unter anderem soll der sogenannte „Unterlagenschutz“ für Arzneimittel gekürzt werden. Dieser Unterlagenschutz (Englisch: Regulatory Data Protection) schützt die Daten aus Studien, die es für die Zulassung neuer Arzneimittel braucht. Bisher waren die Daten acht Jahre lang geschützt, nun soll der Unterlagenschutz nach sechs Jahren enden. Allerdings mit der Ausnahme, dass der Zeitraum verlängert werden kann, wenn bestimmte Auflagen erfüllt sind. Das gilt z.B. dann, wenn ein Produkt innerhalb von zwei Jahren in allen 27 EU-Mitgliedstaaten verfügbar ist. In diesem Fall würde der Schutz um zwei Jahre verlängert. Das soll Anreize setzen, bringt aber auch Probleme mit sich, denn die Zulassung haben die Unternehmen nicht selbst in der Hand. Sie sind hier auf die Mitwirkung von 27 Nationen angewiesen.

Durch kürzere Zulassungsverfahren verspricht sich die EU im Zuge des Pakets weniger Bürokratie. Momentan dauert das Verfahren für die Zulassung eines Arzneimittels rund 210 Tage. Die Zeitspanne soll auf 180 Tage verkürzt werden. Und: Damit es künftig auch beschleunigte Verfahren gibt, wird die EU-Arzneimittelbehörde neu aufgestellt.

Beim Umweltschutz soll es künftige restriktivere Vorgaben geben. Die pharmazeutische Industrie soll in Zukunft nicht nur ihre Produkte auf Umweltverträglichkeit überprüfen, sondern auch die Herstellung eben dieser. Sollten die Umweltrisiken zu gravierend sein, kann eine Zulassung verzögert oder verweigert werden.
Im Bereich der Antibiotikaresistenzen soll ein neues Anreizsystem etabliert werden, da bestehende Marktmechanismen versagen. Das TEV-Konzept bietet hierfür im Grundsatz eine effektive Lösung, die angesichts der rasant fortschreitenden Resistenzbildungen zügig und europaweit umgesetzt werden kann. Bei entsprechender Gestaltung bieten übertragbare Exklusivitätsgutscheine (Transferable Exclusivity Vouchers/ TEVs) für Unternehmen einen finanziell wirksamen Anreiz, um in die kostspielige und aufwendige Forschung und Entwicklung zu investieren. Wenn ein Pharmaunternehmen ein neues Antibiotikum entwickelt, erhält es ein Jahr Unterlagenschutz als „Gutschein“, der auf andere Arzneimittel übertragbar ist.

All diese Themen betreffen die EU-Bürger:innen eher indirekt, aber trotzdem sollen sie davon direkt profitieren. So zumindest ist der Plan der EU. Denn: Je mehr Anreize, die für eine effektive Forschung gesetzt werden, desto eher und mehr Medikamente sind auf dem Markt, die erkrankten Menschen helfen können.

Zum Weiterlesen:
Q&A: Revision of the Pharmaceutical legislation (Europäische Kommission)
EU-Kommission will Pharma-Gesetze reformieren (Tagesschau)
Kann eine Pharmareform die Arzneimittelknappheit der EU stoppen? (FAZ)

Welche Auswirkungen kann das Gesetzespaket auf Patient:innen haben?

Neben den indirekten Auswirkungen, die vor allem Innovationen und die pharmazeutische Industrie in Europa fördern sollen, soll es auch sehr konkrete Auswirkungen auf die Patient:innen geben, gerade im Bereich der Lieferketten- und Versorgungssicherheit. Die Europäische Kommission möchte Arzneimittelengpässe vermeiden und will dafür EU-weite Regelungen einführen. Zuletzt kämpften Apotheker:innen immer wieder mit Lieferschwierigkeiten. Besonders „prominent“ war der Fall von Fieber- und Hustensäften für Kinder, die Anfang des Jahres in vielen Apotheken nicht verfügbar waren. Damit solche Fälle in Zukunft nicht mehr auftreten, soll das bestehende Meldesystem verbessert werden. So sollen Hersteller mögliche Engpässe ein halbes Jahr vorher den Behörden oder auch der EMA melden. Auch wird zentral eine Liste mit wichtigen Medikamenten erstellt, um die Verfügbarkeit besser absehen zu können. Wenn es trotz allem zu Engpässen kommen sollte, können schneller befristete Notfallzulassungen erteilt werden.

Eine besondere Rolle kommt zudem den Kinderarzneimitteln und Arzneimitteln für seltene Krankheiten („Orphan Drugs“) zu. Gerade bei selten Krankheiten ist die Erforschung und Entwicklung von Medikamenten für eine kleine Patientengruppe auch finanziell besonders fordernd für die Unternehmen. Damit aber alle Patient:innen, eben auch solche mit seltenen Erkrankungen, behandelt werden können, ist die Forschung hier unverzichtbar. Der Prozess bei der Entwicklung ist komplex und herausfordernd. So müssen z. B. für Studien zunächst einmal die passenden Teilnehmer:innen gefunden werden. Die Entwicklung ist dringend notwendig, denn es gibt zwischen 6.000 bis 8.000 seltene Krankheiten, aber nur für 200 davon eine Therapie. Um das zu ändern, plant die EU-Kommission die sog. Marktexklusivität bei Orphan Drugs zu verlängern. Marktexklusivität bedeutet, dass nach Zulassung des Medikaments keine ähnlichen Arzneimittel für dieselbe Indikation auf den Markt gebracht werden können. Momentan liegt die Marktexklusivität bei zehn Jahren. Das EU-Pharma-Paket sieht nur noch eine Standarddauer von neun Jahren vor. Diese kann aber auf 13 Jahre ausgedehnt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, z.B. wenn das Medikament in allen Mitgliedstaaten eingeführt wird oder einen hohen medizinischen Bedarf deckt.

Ob Arzneimittelzugang, Orphan Drugs, Bürokratieabbau oder die Entwicklung von neuen Antibiotika, das Ziel des EU-Pharma-Pakets ist es, EU-Bürger:innen einen schnellen und gleichberechtigten Zugang zu Arzneimitteln zu ermöglichen – unabhängig von ihrem Wohnort. Dieses Ziel ist so ambitioniert wie notwendig. Allerdings gibt es unterschiedliche Meinungen zum regulatorischen Rahmen und der Frage, ob damit die Ziele erreicht werden können.

Zum Weiterlesen:
Orphan Drugs im Kontext: Die Kostendebatte ist ein Blindflug - Pharma Fakten (pharma-fakten.de)
Apotheken kämpfen weiter mit Engpässen - was Sie wissen müssen (Focus Online)
Das EU-Pharmapaket: Ein Schritt vor, zwei zurück (MSD)

Wie geht es nach dem Gesetzesentwurf weiter?

Das Pharma-Paket wird jetzt von den EU-Mitgliedsländern im Ministerrat der Europäischen Union intensiv diskutiert. Auch das Europäische Parlament beschäftigt sich damit. Danach gehen die Verhandlungen los und das EU-Parlament und der Ministerrat versuchen einen Kompromiss auszuhandeln. Allerdings zeichnet sich jetzt schon ab, dass die Verhandlungen langwierig und zäh werden – nicht zuletzt, weil das Gesetzesvorhaben so umfangreich ist. Auch wird im Frühjahr 2024 das EU-Parlament neu gewählt. Insofern ist nicht davon auszugehen, dass das Gesetz vor 2026/2027 in Kraft tritt.

Zum Weiterlesen:
Reform of the EU pharmaceutical legislation (Europäische Kommission)