"Es geht um die beste Therapie für die Patient:innen"
Was versteht man unter Arzneimitteltherapiesicherheit? Wie werden Arzneimittel geprüft? Und welche Rolle spielen dabei die Apotheken? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Hanna Seidling gesprochen. Sie ist die Leiterin der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie und Fachapothekerin für Arzneimittelinformation am Universitätsklinikum Heidelberg.
Was versteht man unter Arzneimitteltherapiesicherheit?
Prof. Dr. Hanna Seidling: Die Arzneimitteltherapiesicherheit befasst sich mit der Sicherheit des sogenannten Medikationsprozesses. Der Medikationsprozess wiederum beschreibt den Ablauf der Arzneimitteltherapie von der Verordnung über die Abgabe, die Verabreichung bis hin zum Monitoring des Therapieerfolgs. Mit Maßnahmen der Arzneimitteltherapiesicherheit möchte man erreichen, dass der Medikationsprozess möglichst fehlerfrei abläuft Dies ist eine besondere Herausforderung, da der Prozess oft sehr kompliziert und komplex ist. Ziel ist es, dass das richtige Arzneimittel in der richtigen Dosis für die richtigen Patient:innen verordnet und auch korrekt angewendet wird.
Wie wird die Qualität von Arzneimitteln sichergestellt?
Prof. Dr. Hanna Seidling: Neben einem möglichst risikoarmen Medikationsprozess ist es natürlich wichtig, dass auch das Arzneimittel selbst eine hohe Qualität hat. Die Überprüfung dieser Qualität beginnt bereits im Rahmen der Zulassung eines Arzneimittels: Bevor ein Arzneimittel in Deutschland in der Routineversorgung angewendet werden darf, muss es durch die entsprechenden Behörden zugelassen sein. Eine Voraussetzung für die Zulassung ist die Wirksamkeit, aber eben auch die Unbedenklichkeit und die Qualität. Diese drei Eigenschaften werden kontinuierlich auch nach der Zulassung im Rahmen der sogenannten Pharmakovigilanz geprüft. Daran beteiligt sind die Behörden in Zusammenarbeit mit dem pharmazeutischen Hersteller, aber auch Ärzt:innen und Apotheker:innen, die z.B. Nebenwirkungen melden.
Prof. Dr. Hanna Seidling, Leiterin der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie und Fachapothekerin für Arzneimittelinformation am Universitätsklinikum Heidelberg
Welche Rolle spielen Apotheken im Medikationsprozess?
Prof. Dr. Hanna Seidling: Apotheken versorgen die Bevölkerung mit Arzneimitteln – das bedeutet, dass sie nicht nur für die Logistik zuständig sind und z.B. bei Lieferengpässen, wie wir sie in letzter Zeit immer häufiger erleben, versuchen Lösungen zu finden. Versorgung bedeutet auch, dass sie Patient:innen und andere Heilberufler zur richtigen Anwendung von Medikamenten beraten und informieren. Das kann ganz punktuell z. B. beim Einlösen eines Rezeptes in der öffentlichen Apotheke geschehen. Manchmal macht aber eine aufwendigere Prüfung der Gesamtmedikation, idealerweise in enger Absprache mit den Ärzt:innen, Sinn. Bei uns am Universitätsklinikum Heidelberg arbeiten deswegen auch auf einigen Stationen klinische Apotheker:innen eng mit Ärzt:innen, Pflegekräften und weiteren Berufsgruppen zusammen, um durch die Bündelung aller Expertisen die Patient:innen bestmöglich zu betreuen.
Sie sind bei der Entwicklung und Implementierung von Strategien zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit beteiligt. An welchen Projekten arbeiten sie dabei momentan?
Prof. Dr. Hanna Seidling: Bei unseren Projekten im Krankenhaus beschäftigen wir uns aktuell mit der Digitalisierung des Medikationsprozesses: Welche Tools können wir einsetzen, um den Prozess noch sicherer oder effizienter zu gestalten? Im niedergelassenen Bereich steht bei vielen Projekten die interprofessionelle Zusammenarbeit und die Stärkung der Patientenkompetenzen im Vordergrund, damit alle Beteiligten das erforderliche Spezialwissen haben, um den größtmöglichen Nutzen des Medikaments sicherzustellen.
Vor welcher Herausforderung stehen wir bei der Arzneimitteltherapiesicherheit in den kommenden Jahren?
Prof. Dr. Hanna Seidling: Die Therapien werden komplexer und gleichzeitig verschärft sich die Personalknappheit in allen Gesundheitsberufen. Deswegen glaube ich, dass es besonders wichtig sein wird, effizient zusammenzuarbeiten und therapiebezogene Informationen bestmöglich zu vernetzen, um Redundanzen zu vermeiden. Das bedeutet auch, dass wir weiter zielgerichtete digitale Lösungen entwickeln und einsetzen müssen. Für Grundlegend halte ich hier, dass eine zentrale und für alle an der Therapie Beteiligten zugängliche Stelle wie die elektronische Patientenakte mit dem (elektronischen) Medikationsplan genutzt wird, an der die vollständige Medikation des Patienten einsehbar ist und – natürlich nachvollziehbar – von den Beteiligten aktualisiert werden kann. Vor dem Hintergrund der komplexer werdenden Therapien werden wir uns weiter mit Fragestellungen der „besten“ Therapie für einen Patienten*eine Patientin beschäftigen. Polypharmazie und die Einbindung von Patientenpräferenzen und Adhärenzförderung sind hier aus meiner Sicht wichtige Stichworte.