"10 Jahre Patientenrechtegesetz: Ein Grund zum Feiern, nicht zum Ausruhen"
In diesem Jahr wird das Patientenrechtegesetz zehn Jahre alt. Doch was hat sich in dieser Zeit alles getan? Wo stehen wir gerade und was muss sich in der Zukunft noch ändern? Diese und noch mehr Fragen beantwortet Thorben Krumwiede, Geschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, in seinem Gastbeitrag für das vfa-Patientenportal.
Die erstmalige gesetzliche Verankerung des Behandlungsvertrages, das Einsichtsrecht in die Patientenakte, ärztliche Informations- und Aufklärungspflichten: Diese und andere Patientenrechte wurden vor 10 Jahren durch das sogenannte Patientenrechtegesetz unter dem Titel „Behandlungsvertrag“ im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert. Auch die bisherige Rechtsprechung im Arzthaftungsrecht wurde damit festgeschrieben. Durch das Patientenrechtegesetz fanden außerdem neue patientenfreundliche Regelungen ihren Weg in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V). Rechte für Patient:innen gab es zwar auch schon vorher, über eine Verbesserung der Rechtslage für Patient:innen wurde aber bereits seit 1978 diskutiert. Mit dem Patientenrechtegesetz wurden 2013 dann die Ansprüche und Rechte der Patient:innen einheitlich, transparent und nachvollziehbar festgeschrieben.
Die Stellung der Patient:innen wurde immer weiter gestärkt
Als Unabhängige Patientenberatung begrüßen wir die entscheidende Stärkung der Stellung von Patient:innen im Dickicht des deutschen Gesundheitswesens ausdrücklich. Die Informations- und Aufklärungsansprüche von Patient:innen wurden fortentwickelt, die rechtliche Stellung gegenüber Leistungserbringern im System gestärkt, die Patientenbeteiligung ausgebaut.
Aber an einigen Stellen sehen wir auch Verbesserungsbedarf. Dazu gehört beispielsweise die wenig patientenfreundliche Beweislastverteilung bei der Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund vermuteter Behandlungsfehler. Und was fast genauso wichtig ist: Recht haben und Recht bekommen sind auch im deutschen Gesundheitswesen leider oft zwei ganz verschiedene Dinge. Auch noch so klare patientenfreundliche Regelungen kommen im Alltag des Gesundheitswesens leider nicht immer an. Das zeigt unsere langjährige Beratungserfahrung.
Ein Beispiel: Alle Patient:innen haben ein Recht auf unverzügliche Einsicht in ihre vollständige Patientenakte. Dazu gehört auch das Recht, Kopien der Akte zu erhalten. So zumindest die Theorie, denn in der Praxis sieht es oft anders aus. Seit Jahren wenden sich Patient:innen dazu hilfesuchend an das UPD-Beratungsteam. Allein im letzten Jahr haben wir mehrere tausend Beratungen zum Thema Patientenakte geleistet. Die Klagen der Ratsuchenden ähneln sich oft: Behandelnde mauern, wenn nach Einsicht in die Patientenakte gefragt wird. Es wird nur verspätet, nur teilweise oder gar keine Einsicht gewährt. Auch beim Thema Kopierkosten – die bei umfangreichen Patientenakten durchaus deftig ausfallen können – gibt es wegen einer widersprüchlichen Rechtslage immer wieder Streit.
Es braucht eine bessere Kommunikation bei Behandlungsfehlern
Das Thema Behandlungsfehler ist in der UPD-Beratung ein weiteres prominentes Thema. Hier sehen wir Licht und Schatten: Seit der Änderung des SGB V durch das Patientenrechtegesetz sollen die gesetzlichen Krankenkassen ihre Versicherten unterstützen, wenn ein Verdacht auf einen Behandlungsfehler besteht. Vor der Gesetzesänderung war es dagegen nur ein „können“. In der Praxis hat das erfreuliche Auswirkungen: Die Kassen sind seither grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet. In aller Regel schalten sie bei Verdacht auf Behandlungsfehler den Medizinischen Dienst (MD) ein und lassen ein für die Versicherten kostenfreies Gutachten anfertigen.
Verbesserungsbedarf sehen wir dagegen unter anderem bei der ärztlichen Kommunikation zu Behandlungsfehlern: Nach bestehender Rechtslage muss der Behandelnde den Patienten nur auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren auf einen erkennbaren Behandlungsfehler hinweisen. Aus Patientensicht ist das eine äußerst unglückliche Regelung. So wird nicht nur das Risiko für medizinisch ungünstige Verläufe erhöht, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzt:innen und Patient:innen im Fall des Falles stark belastet. Aus unserer Beratung wissen wir, dass Patient:innen regelrecht geschockt sind, wenn wir ihnen die Rechtslage erläutern. Denn oft vertrauen diese darauf, der Arzt oder die Ärztin würde schon mitteilen, wenn etwas schiefgegangen ist. Auch beim Thema Beweislastverteilung bei der Durchsetzung von Ansprüchen aufgrund vermuteter Behandlungsfehler besteht aus unserer Sicht politischer Handlungsbedarf. Im Regelfall liegt die Beweislast nämlich bei den Patient:innen, nur bei einigen Ausnahmen, wie sehr groben Fehlern, gibt es eine Beweistlastumkehr. Für einzelne Patient:innen ist das eine oft unüberwindbare Hürde.
Insgesamt bleibt also festzuhalten: Das zehnjährige Jubiläum ist ein Grund zum Feiern, nicht aber zum Ausruhen. Das Patientenrechtegesetz war ein notwendiger und überfälliger Schritt, der die Rechte der Patient:innen in Deutschland entscheidend gestärkt hat. Die Patientenrechte müssen aber weiter gefördert und ausgebaut werden. Außerdem muss den Menschen das notwendige Rüstzeug an die Hand gegeben werden, um ihre Rechte gegenüber den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen in der Praxis auch durchsetzen zu können.
Als UPD ist es schon seit langem unsere Position, dass zu einer guten Gesundheitskompetenz auch eine gute rechtliche Gesundheitskompetenz gehört. Unsere Beratung ist daher auch immer Hilfe zur Selbsthilfe. Nur Patient:innen, die ihre Rechte und Ansprüche kennen und sie auch in der Praxis einfordern und durchsetzen können, sind wirklich dazu in der Lage, sich im deutschen Gesundheitswesen souverän und eigenverantwortlich zu bewegen.