Blickpunkt: Patientinnen- und Patientenbeteiligung

Was versteht man unter Patient:innenautonomie? Wie sieht Patient:innenbeteiligung konkret aus? Und welche Rechte haben Patient:innen überhaupt?
Diese und weitere Fragen werden in diesem Artikel behandelt.

1. Patientenbeteiligung und Patientensouveränität

Spricht man von Patientensouveränität geht es um die Beteiligung von Patientinnen und Patienten und deren Selbstbestimmung im Leben. Es geht um freie und informierte Entscheidungen über die Behandlung ihrer Gesundheitsprobleme. Es geht zudem darum, auf Augenhöhe mit dem behandelnden Arzt zu sein und seine Hilfe anzunehmen. Gleichzeitig sollten Patientinnen und Patienten aber auch befähigt sein, Therapievorschläge für Medikamente kritisch und eigenverantwortlich zu hinterfragen. Als Experten für ihre Krankengeschichte sollen sie aktiv am Gesundheitssystem teilnehmen können. Voraussetzung dafür ist, dass ihnen qualitätsgesicherte und transparente Gesundheitsinformationen zur Verfügung stehen.

Auf eine stärkere Patientenbeteiligung zielt auch der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition ab. Er befürwortet eine Verbesserung der Mitwirkung im Gemeinsamen Bundesausschuss sowie die Umgestaltung der Unabhängigen Patientenberatung UPD in eine dauerhafte und „staatsferne“ Struktur. Konkret heißt es unter der Überschrift: „Rechte von Patientinnen und Patienten“: „Die UPD überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen. Mit einer Reform des G-BA beschleunigen wir die Entscheidungen der Selbstverwaltung, stärken die Patientenvertretung und räumen der Pflege und anderen Gesundheitsberufen weitere Mitsprachemöglichkeiten ein, sobald sie betroffen sind.“

Zum Weiterlesen:

Gemeinsamer Bundesausschuss
Neustart Patientenberatung (Verbraucherzentrale)

2. Patientenrechte haben die Patientenbeteiligung gestärkt

Alle Bürgerinnen und Bürger haben so genannte Patientenrechte. Diese Rechte stehen ihnen im Behandlungsverhältnis mit einem Arzt oder einem Therapeuten zu. Sie umfassen das Recht auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen, auf Information und Aufklärung sowie auf Selbstbestimmung. Das Recht auf Selbstbestimmung basiert auf dem Verstehen und der Sachkenntnis medizinischer Maßnahmen, die grundsätzlich nur mit der Einwilligung der erkrankten Person erfolgen dürfen.
In einer medizinischen Behandlung haben Kranke gegenüber ihren Ärzten oder während einer stationären Behandlung vertragliche Ansprüche und individuelle Rechte. Sie haben Anspruch auf eine angemessene, verständliche Aufklärung und Beratung und auf eine gewissenhafte Behandlung. Diagnose und Therapie müssen mit Patienten abgesprochen werden. Kommt es zum Schadensfall, steht Patientinnen und Patienten ein Schadenersatz zu.

Zudem haben sie auch kollektive Rechte. Auf institutioneller Ebene befassen sich die maßgeblichen Patienten- und Selbsthilfeorganisationen damit, die Patientenperspektive einzubringen, wenn es zum Beispiel um den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung oder die Qualitätssicherung in Einrichtungen des Gesundheitswesens geht.
Ihre Interessen nehmen Patientinnen und Patienten in unterschiedlichen Gremien des Gesundheitssystems wahr. Zum Beispiel durch Vertreter von Patientenorganisationen, die an den Sitzungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) teilnehmen. Der G-BA ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und legt Richtlinien fest, auf deren Grundlage gesetzlich Krankenversicherte Behandlungen erhalten. Informierte Vertreter einer Patientenorganisationen haben bei diesen Entscheidungen ein Mitberatungs- und Antragsrecht. Hierdurch soll der Standpunkt von Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden, wenn zum Beispiel darüber entschieden wird, ob bestimmte Arzneimittel als erforderlich bewertet werden.

Patientinnen und Patienten sind heute deutlich selbstbewusster und selbstständiger als in der Vergangenheit. Ihre Rechte sind im Patientenrechtegesetz verankert. Es bündelt die Rechtsansprüche, die vorher auf unterschiedliche Gesetze verteilt waren. Das Gesetz stärkt ihre Position und schreibt ihre Beteiligung fest. Patientinnen und Patienten haben dank des Gesetzes einen Überblick über ihre Rechte beim Arztbesuch oder im Falle eines Krankenhausaufenthaltes. Auch das Behandlungs- und Arzthaftungsrecht des BGB ist im Patientengesetz von 2013 verständlich erklärt. Es hat eine Kultur der Fehlervermeidung angelegt, Verfahrensrechte bei Behandlungsfehlern geregelt sowie die Rechte der Patienten und Patientinnen gegenüber Anbietern von Gesundheitsleistungen klargestellt. Darüber hinaus hat es dazu beigetragen die Patientenbeteiligung zu fördern und die Informationsmöglichkeiten von Patientinnen und Patienten zu erweitern. Insgesamt hat das Patientenrechtegesetz das bewirkt, was es bewirken sollte: Die Rechte der Patientinnen und Patienten stärken.

Es gab seither aber immer wieder Forderungen nach einer Weiterentwicklung vonseiten der Patienten- und Verbraucherverbände. Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) verwies zuletzt darauf, dass seiner Ansicht nach in vier Bereichen nachgebessert werden muss:

  • bei den individuellen Patientenrechten,
  • der Unterstützung der Versicherten durch ihre Kassen,
  • bei den kollektiven Patienten- und Betroffenenrechten,
  • bei der Patientensicherheit.

3. Die Patientenbeteiligung entwickelt sich weiter

Patientenbeteiligung findet in unterschiedlichen Bereichen statt. Dazu zählen neben vielfältigen Gruppen, Initiativen und Stiftungen unter anderem:

  • G-BA-Gremien
  • Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung
  • Selbsthilfeorganisationen
  • MD, Medizinischer Dienst (früher MDK), Beirat zur Vertretung von Patienteninteressen
  • UPD, Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands

Weil dieses komplexe Umfeld von Möglichkeiten der Patientenpartizipation die Wahrnehmung von Patienteninteressen unübersichtlich macht, ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, für mehr Transparenz zu sorgen. Konkret soll, wie in § 136a, SGB V, Abs. 6, aufgeführt, der G-BA eine zusätzliche neue Aufgabe erhalten. Demnach sollen bis Ende 2022 einheitliche Anforderungen für die Information der Öffentlichkeit und für Transparenz und Qualität der Patientenversorgung geschaffen werden. Mehr Transparenz kann Patientinnen und Patienten sowie deren Vertretern dabei helfen, sich besser zu informieren.

Die stellvertretende Patientenbeteiligung gewährleistet, dass Personen trotz ihrer Krankheit an der Wahrung ihrer Interessen beteiligt sind. Mit anderen Worten: Auch wenn die Patientenbeteiligung oder Patientensouveränität an dieser Stelle stellvertretend stattfindet, werden Menschen mit Erkrankungen nicht von der Wahrnehmung ihrer Interessen ausgeschlossen.

Allerdings besteht ein strukturelles Ungleichgewicht in der Patientenvertretung im G-BA. Während Leistungserbringer, wie z.B. Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen hauptamtliche Vertreter in Abteilungsstärke beschäftigen, sind Patientenvertreter häufig auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen. Neben finanzieller und personeller Ungleichheit ist auch das Knowhow ungleich verteilt. Ehrenamtliche benötigen mehr Unterstützung, um Studien und Rechtsvorschriften zu verstehen und adäquat anwenden zu können oder um Anträge so zu formulieren, dass sie den Anforderungen eines Beratungsverfahrens standhalten. Darüber hinaus sei, so Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG Selbsthilfe), nicht einzusehen, „warum nicht auch die Patientenorganisationen ein Vorschlagsrecht zur Bestimmung eines Unparteiischen beim G-BA erhalten sollen.“

Für Patientinnen und Patienten, die aktiv im medizinischen Praxis-Alltag mitgestalten möchten, ist der Weg aber noch weit. Die Digitalisierung ermöglicht Patientinnen und Patienten beispielsweise mit der elektronischen Patientenakte (ePA) künftig mehr Beteiligung. Doch der Datenschutz erschwert mitunter den Fortschritt, wenn z.B. das Patientendatenschutzgesetz (PDSG) die Forschungszugänge der Privatwirtschaft ausbremst oder das Handling für Patienten erschwert. In Deutschland sind wir in der medizinischen Versorgung auf eine vernetzte Forschung angewiesen, um schnelle und wirkungsvolle Lösungen zu entwickeln. Der ungehinderte Zugang zur Forschungsdatenlandschaft liegt daher auch im Interesse von Patientinnen und Patienten.

Um die Patientenbeteiligung auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln, wird die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag vorlegen, der es Patienten, Ärzten und Apothekern ermöglichen soll, in einem gemeinsamen europäischen Gesundheitsdatenraum Gesundheitsdaten auszutauschen. Der Zugriff auf Rezepte, Impfnachweise, Röntgenbilder etc. soll digital und länderübergreifend möglich sein. Erfahrungen aus Dänemark und Estland im Umgang mit Gesundheitsdaten haben gezeigt, dass Kosteneinsparungen möglich sind, ohne Versicherte zu belasten. Bis 2025 soll mittels KI und selbstlernenden Programmen der europäische Gesundheitsdatenraum etabliert werden. Der europäische Gesundheitsdatenraum soll sicher sein und Abläufe effizienter gestalten, indem z.B. Doppeluntersuchungen vermieden werden. Das Europa-Parlament und die europäischen Mitgliedsstaaten müssen dem Gesetz zum europäischen Gesundheitsdatenraum allerdings erst noch zustimmen.

Um zukünftig Patientinnen und Patienten schnell mit innovativen Arzneimitteln versorgen zu können, müssen Politik, Wissenschaft und Industrie gemeinsam die Spitzenforschung in Deutschland stärken. Damit dies gelingt, sind Veränderungen im Umgang mit Forschungsdaten notwendig.

Als Grundlage sollte gelten, dass:

  • die Bedürfnisse von Kranken der Gradmesser für Gesundheitsforschung sind. Eine Neuentwicklung wird erst dann zu einer echten Innovation, wenn sie auch bei den Patientinnen und Patienten angenommen wird.
  • persönliche Daten sicher anonymisiert und allen Forschenden zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Zugriff auf bereits bestehende Gesundheitsdaten muss allen Forschungstreibenden offenstehen.
  • die Straffung von bürokratischen Abläufen bei Genehmigungsverfahren für Forschungsstudien hilft, die Dauer von klinischen Studien zu reduzieren, um die Forschung in Deutschland zu beschleunigen.
  • Digitalisierung es ermöglicht, Patienten außerhalb von Ballungszentren in Forschungsstudien aufzunehmen.

4. Ein gelungenes Beispiel für Beteiligung von Patienten in Deutschland

Die Nationale Dekade gegen Krebs – angestoßen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – hat 2021 gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium – Prinzipien für eine erfolgreiche Patientenbeteiligung in der Krebsforschung veröffentlicht. Die Prinzipien sind aus einem europaweiten Dialogprozess zwischen Patienten sowie Forschenden entstanden und sollen beiden Gruppen gleichermaßen dienen.

Teilnehmende aus Patientenorganisationen, der Krebsforschung, der partizipativen Forschung, medizinischen und Gesundheitsberufen, der Wirtschaft, dem Forschungsmanagement, aus Förderorganisationen und der Politik tauschten sich in einer Allianz für Patientenbeteiligung aus. Das Ziel: Eine Krebsforschung zu ermöglichen, die so viele Perspektiven und Facetten wie möglich berücksichtigen soll. Diesen Ansatz versteht Patientinnen und Patienten als „Experten aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung“. Ihre Perspektiven, Fragen und Lösungen sollen Teil der Diskussion sein und dabei helfen, die Forschung zu verbessern. Die Initiative will Forschung transparenter machen, indem Patienten intensiver beteiligt werden als bisher. Die Initiative gegen Krebs will mehr Unterstützung für Forschungsprogramme schaffen. Die Beteiligung der Erkrankten soll mehr Akzeptanz für die Forschungsergebnisse schaffen und die Übertragbarkeit in Prävention und Gesundheitsversorgung verbessern.

Die Allianz setzt auf eine neue Forschungskultur, indem sie alle am Forschungsprozess Beteiligten und vor allem Patienten gleichwertig miteinbezieht. Sie sind bei diesem Ansatz „Mitforschende auf Augenhöhe“, die in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um einen ganzheitlichen Ansatz der Beteiligung zu schaffen. Die Nationale Dekade gegen Krebs verweist auch auf die nötigen Voraussetzungen dafür: „Eine erfolgreiche Patientenpartizipation bedarf ausreichender Zeit, Fördermittel und Flexibilität.“ Hedy Kerek-Bodden, Vorsitzende des Hauses der Krebs-Selbsthilfe Bundesverband, begrüßt den neuen Ansatz: „Die Zeit ist überreif, auch in der Krebsforschung eine echte und gelebte Patientenbeteiligung zu wagen.“
Wie wichtig die Einbeziehung von Patienten ist und wie sehr sich der Blick der Forschenden hier ändert, macht auch Prof. Dr. Michael Baumann deutlich. Er ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg und Co-Vorsitzender des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs und sagt: „Das DKFZ hat daher 2018 als erste Einrichtung in Deutschland einen Patientenbeirat für Forschung eingerichtet – als Zeichen für einen Kulturwandel hin zu mehr Partizipation.“

Das DKFZ ermöglicht z.B. als Form der Patientenselbstbeteiligung unter www.fragdiepatienten.de einen direkten Austausch zwischen Patientinnen und Patienten und Wissenschaftlern. Über die Plattform können Wissenschaftler zu ihrem onkologischen Forschungsprojekt eine Umfrage schalten, auf die dann Patientinnen und Patienten anonym antworten können. Die Teilnahme stellt eine unkomplizierte Möglichkeit dar, sich in aktuelle Forschungsprojekte einzubringen und von neuesten Forschungsvorhaben zu profitieren. Der Vorteil für die Forschenden ist, dass sie schnell und direkt Zugang zur Patientenperspektive erhalten, die sie in ihre Forschung einfließen lassen können. Alle wesentlichen Ergebnisse der Umfragen werden auf der Webseite veröffentlicht, um den Teilnehmenden eine direkte Rückmeldung geben zu können. Auf diese Weise ist ein Portal entstanden, das Erkenntnisgewinn und Teilhabe für Patienten, Forscher und Politik gleichermaßen bietet.

Diese Teilhabe auf Augenhöhe setzt allerdings voraus, dass Patienten gut informiert sind und fachkundig mitwirken können. Diese Kompetenz leistet einen Beitrag zur Genesung und geht von Patienten selbst aus.

Der Begriff der Patientenkompetenz wurde von Krebspatienten geprägt. Kompetente Patienten möchten wissen, was sie selbst zur Gesundung oder zur Verbesserung ihrer Krankheit beitragen können. Mit anderen Worten: Patienten bündeln ihre Kräfte und nutzen gleichzeitig die medizinischen Möglichkeiten aus, um aktiv gegen ihre Krankheit anzukämpfen. Sie fragen nach, was sie für sich unterstützend tun und wie sie die eigene Lebensqualität verbessern können.

Natürlich möchten Patienten dabei auch auf ihre persönlichen Daten-Ressourcen zugreifen können. Denn ihr Wissen und ihre Kompetenz können ihnen helfen, den durch eine Krankheit verursachten Umständen aktiv zu begegnen und besser mit der neuen Lebenssituation umzugehen. Das Knowhow des kompetenten Patienten stärkt Patientensouveränität. Patientenkompetenz ist erlernbar. Der Weg dorthin – das Empowerment oder Self-Empowerment – ist der Gegenentwurf zur traditionellen, paternalistischen geprägten Medizin.

Zum Weiterlesen:
EU stärkt Patientenbeteiligung (Nationale Dekade gegen Krebs)
Patientenbeteiligung einfach erklärt (Krebs-Nachrichten)
Fortschritte bei der Krebsbekämpfung (Verband Forschender Arzneimittelhersteller)
Allianz für Patientenbeteiligung (Nationale Dekade gegen Krebs)
Prinizpien für eine erfolgreiche Krebsforschung (Nationale Dekade gegen Krebs)